Das Baby auf dem Foto, welches von der Mama getragen wird, bin ich. Die alte Dame, die meine Hand hält, ist meine Uroma, die Mutter der rauchenden Dame neben ihr, welche meine Oma ist, gefolgt von meinem Opa ganz hinten. Wenn ich mir dieses Foto ansehe, frage ich mich, ob die Uroma zu diesem Zeitpunkt wusste, wo sie war und wer die Leute waren, denn soweit ich weiß, muss sie dement gewesen sein, so wie ihre Tochter heute - meine Oma. Es ist unglaublich, aber heute wird sie 90 Jahre alt, aber sie weiß es nicht mehr. Bekannt wurde die Demenz bei ihr vor etwa 13 Jahren und ich fing damals schon an, ihr bei einigen Hausarbeiten zu helfen. Sie versuchte immer ihre Vergesslichkeit zu vertuschen, aber im gemeinsamen Gespräch war es unverkennbar. "Kommst Du gerade von der Arbeit?, War viel zu tun?, Macht Dir die Arbeit Spaß? - Kommst Du gerade von der Arbeit?, War viel zu tun?..." - im 5 Minutentakt. Am Anfang erzählst Du noch ausführlich, irgendwann stellst Du fest, dass Du auch eigentlich irgendwas erzählen kannst, aber HALT- Ja, Du konntest ihr alles erzählen, aber wenn Du traurig oder schlecht gelaunt warst, hat sie das gespürt. Ich war immer sehr bemüht nach dem 37. Mal "War viel zu tun?" nicht genervt zu reagieren, weil sie das ja nicht versteht und habe mich dann lieber verabschiedet und mich für einen anderen Tag mit ihr verabredet, sofern man das noch verabreden nennen konnte, sie wusste ein wenig später nämlich weder, dass ich dort war, noch, dass ich sagte, ich käme nächste Woche wieder. Eine Sache konnte man damals aber noch besonders gut, nämlich mit ihr in die Vergangenheit reisen. Sie erzählte von ihrem Dackel, der im Bett schlafen durfte, von ihren Kindern und ihren Marotten, von Opa, mit dem sie wohl nie ernsthaft Streit hatte, aber Meinungsverschiedenheiten und konnte mir auch damals noch Kochtipps geben. Leider funktioniert das heute nicht mehr, denn auch das Langzeitgedächtnis beginnt zu verschwimmen und ich finde das so schade. Sowas interessiert mich immer sehr. Früher hat sie auch noch von Opa gesprochen, dann war es plötzlich nur noch ihr Mann - sprich, sie konnte nicht mehr die Verbindung zwischen mir und ihm herstellen und mittlerweile spricht sie kein Wort mehr von der Vergangenheit und eigentlich auch nicht mehr von der Gegenwart. Es kommen nur noch Floskeln aus ihr heraus "Ich sach mir jeht et immer jut". Seit meinem Burnout war ich nicht mehr bei ihr. Ich hatte mich damals zwei Wochen vertretungsmäßig komplett um sie gekümmert, hab so manches mal ein Tränchen verdrückt, weil sich die Person, die sich meine Oma nennt, so verändert - verfremdet hatte. Meinen Namen hat sie auch schon vergessen, aber die Art wie sie mich ansah, wenn ich zur Tür herein kam, ließ mich wissen, woran ich war, ob sie wusste, da kommt meine Enkelin oder ob sie dachte, die Frau kennst Du, aber wer ist das noch gleich. Es fällt mir so schwer sie zu besuchen, ich bin emotional einfach nicht in der Lage dazu und das macht mich auch ein bisschen sauer auf mich selbst. Ich weiß noch nicht mal, ob die Demenz schlimmer geworden oder gleich geblieben ist. Ich frage mich nur immer, warum gibt es so eine fürchterliche Krankheit? Du kannst alles verlieren und lernen damit umzugehen, 'n Bein, 'n Arm, aber die Erinnerung ist eigentlich eine Sache, die man tief in sich trägt und von der man immer sagt: Die Erinnerung - die nimmt mir keiner! Aber zu früh gefreut, die faule Erdbeere nennt sich Demenz und vernichtet Stück für Stück Deines Lebensfilms - vielleicht ohne, dass Du es selbst merkst und ich hoffe sehr, dass es nicht eines Tages uns trifft.
Kommentar schreiben
Jenny (Sonntag, 22 April 2018)
Ich weiß ganz genau wovon du hier schreibst
Mein Opa ist ein paar Jahre vor seinem Tot mit ca.70 Jahren auch an Demenz erkrankt
Am Anfang der Demenz War es zwar komisch, aber noch einigermaßen ok fragen zu beantworten die mehrmals gestellt worden
Aber von mal zu mal, wurde es befremdlich weil es einfach nicht mehr der Opa war den man so kannte
Der jedes Wochenende wandern gegangen ist oder Pilze sammeln ging oder einfach nur um uns enkelkinder und Kinder zu bespassen, in der Wohnung einen Radschlag gemacht hat :-D er war einfach ein lebensfroher lustiger Mensch
Und jetzt lag er nur im Bett und wusste auch nicht mehr wer wir waren
Wie du schon schreibst : Demenz ist ein Arschloch
Sandrinchen (Sonntag, 22 April 2018 23:14)
Radschlag in der Wohnung � sehr lustig. Danke für Deinen Kommentar ��