· 

Etappe 9: Pontesecures - Santiago de Compostela 28 Kilometer

Vollgaspilot

Das war also der Tag, die letzte Etappe...

Früh wie eh und je standen wir auf, vertilgten unsere Reste und machten uns auf den Weg. Ich war fröhlicher als die ganzen Tage sowieso schon. Immer wieder dachte ich an vergangene Tage und hatte ein Lächeln im Gesicht und eine Träne im Knopfloch. Es war mit 8 Grad wohl einer der kältesten Morgen in der ganzen Zeit, dafür durften wir wieder einen sehr schönen Sonnenaufgang bewundern.

Wir?

Das waren Frank, Selina, Adem, Steffi, Katja und ich. Während der ersten Kilometer verstreuten wir uns mal wieder und trafen uns zum obligatorischen halb 10/10 Uhr Kaffee in Padron in einem Café, in dem es um einiges wärmer war als draussen. Schließlich waren wir wieder auf dem Camino de Santiago, oftmals an der Bundesstraße entlang, aber dennoch viel durch Dörfer. Irgendwann kamen wir in Escravitude(?) an einer geöffneten Kirche vorbei, in die wir alle hinein gingen, ich aber nach einem Foto fluchtartig die Kirche verlassen musste, weil ich mich absolut unwohl fühlte. Ich sagte Bescheid, dass ich schon mal vorginge, da ich sowieso vor hatte in der letzten Etappe eine Weile für mich zu sein. Ich sagte, ich würde am 11 Kilometerstein auf die anderen warten. Wieder ging es wild gemischt an der Landstraße entlang, durch Dörfer und Wälder, deren Wurzeln am Boden an meine Kindheit mit meiner Großtante erinnerten. Zurück auf der Straße kam ich an einem Café vorbei in dem ich Pilger aus vergangenen Herbergen wieder sah. Ich kaufte mir dort ein Wassereis und der Pilger aus Afrika sagte zu mir, ich müsse etwas richtiges essen um bei Kräften zu bleiben, aber ein Eis war nun mal gerade das was ich brauchte ;-). Schließlich kam ich in Teo am ersten 11 Kilometer-Stein an, setzte mich dort auf den Boden, aß und trank, machte ein Video und war einfach nur glücklich. In etwa 50 Metern Entfernung stand ein Mann, der augenscheinlich im Gebüsch pinkelte und ich mich fragte, warum er sich keine andere Stelle etwas versteckter suchen würde und als weitere Pilger an mir vorbei gingen, war der Mann aber auch verschwunden um kurz danach wieder aufzutauchen als die Pilger vorbei waren. Diesmal erkannte ich, dass es sich wohl um einen Exhibitionisten handeln müsse, schrieb Frank kurzerhand eine Nachricht, dass ich weitergehen müsse und hängte mich ganz kurz und ruhig an eine herannahendeGruppe Pilger. Angst hatte ich nicht, aber es war schon ein komisches Gefühl, welches sich recht schnell legte. Letztlich machte ich mich nun darüber lustig, ob das nicht eher für mich der Pimmelweg sein würde, denn die erste Etappe begann für mich mit einem Penis und die letzte endete damit :-D. Ich nahm es also mit Humor und ging weiter vorbei an verschiedenen Tieren, machte auch wieder ein Spiegelfoto und legte kurzerhand ca. 5 Kilometer vor dem Ziel eine kurze Pause an einer Art Kiosk ein und aß einen äusserst leckeren Schokokuchen. Zu mir gesellte sich ein Spanier, der seine Schuhe und Strümpfe auszog und sein Käsefußgeruch sich unter der Überdachung hartnäckig hielt. Zum Glück war nur ein kleiner Smalltalk möglich, da er nur spanisch sprach und schließlich war ich "wieder unterwegs auf dem altbekannten Weg" (Meine Richtung - Wilde Jungs) und irgendwann am 2 Kilometerstein angelangt. Nun schossen wir zwischenzeitlich immer mal wieder Tränen in die Augen vor lauter Vorfreude und auch Trauer, dass es bald zu Ende war. Nach diesem Stein gab es übrigens keine weiteren Steine mehr und die Pfeile waren auch mehr als dürftig in der Stadt angebracht, sodass ich nun doch eher nach Maps die letzten Schritte ging. Kurz vor einer Treppe sah ich dann die Kathedrale von Santiago de Compostela und war um Punkt 15 Uhr zum Glockenschlag angekommen.

 

Ich war kaum die Treppen hoch gekommen, setzte ich mich sofort auf den Boden des riesigen Platzes, im Hintergrund spielte jemand Dudelsack und ich weinte Rotz und Wasser. 

Dieses Gefühl von

- Glück,

- Erleichterung,

- Trauer, dass es vorbei ist,

- Stolz,

- Stärke,

- Mut und

- die schönen Momente in diesen ganzen Tagen, ist unbeschreiblich.

Irgendwann sah ich mich um und da saßen auch die anderen. Wir nahmen uns in die Arme und waren sowas von glücklich. Frank machte sogar sein Versprechen wahr und machte einen Handstand :-). Wir verweilten noch eine ganze Weile auf dem Platz ehe wir ins Hotel gingen, in dem uns Andreas freundlicherweise Zimmer reserviert hatte. Das Hotel war ein ehemaliges Kloster und die Zimmer waren ganz klein und nur mit dem nötigsten ausgestattet, aber als Pilger reicht dir das absolut ;-). Allein im Zimmer war es plötzlich ganz komisch. Ich betrachtete mich im Spiegel und sah irgendwie eine andere Frau. Ich hatte abgenommen - wie viel wusste ich nicht, aber man sah es und es gefiel mir, mein Gesicht war entspannt, ausgeglichen, stark und ich fühlte mich auch stark :-). 

Nach einer schönen Dusche und nur im Handtuch auf dem Bett sitzen und allen Bescheid geben, dass ich es geschafft hatte, trafen wir uns alle zum Abschlussessen. Wir gingen durch die schmalen Gassen und kehrten kurz in eine kleine Kirche ein in der Mönchsgesang zu hören war. Später im Restaurant haben wir alle zusammen gelegt und uns ein richtiges Festmahl gegönnt, welches uns Andreas empfohlen hatte. Es gab ganz viel Fisch, etwas Brot und als Hauptgang Rindfleisch von der Kuh und vom Bullen, dazu frittierte Kartoffeln. Zum Nachtisch gönnte ich mir noch eine Karamelcreme (glaube ich :-D). Schließlich zogen wir noch weiter in eine Bar, in der es noch lustig zuging, bis wir schließlich zum Hotel zurück gingen und zum ersten Mal wieder allein, jeder für sich schlafen ging, was auch wieder ganz komisch war :-). 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0